Geomantie

Der Begriff Geomantie bezeichnet zwei verschiedene Praktiken, die nichts miteinander zu tun haben. Einmal kann Geomantie die Kunst des Wahrsagens aus Linien oder Punkten im Sand bezeichnen. Daher wird auch von Punktierkunst gesprochen. In der zweiten Bedeutung befasst sich die Geomantie mit der Erforschung und Entdeckung von Erdenergien und Kraftlinien.

Die Geomantie im Sinne von Punktierkunst ist eine uralte Methode der Wahrsagung, die aus Persien stammen soll. Ursprünglich wurden willkürlich Punkte oder kurze Linien in den Sand geschrieben. In der modernen Variante kommen Papier und Bleistift zum Einsatz. Der Geomant wirft ohne Nachdenken, aber konzentriert auf die Frage, die er beantworten soll, eine Reihe kurzer Striche auf das Papier. Diese werden linienweise ausgezählt. Je nachdem, ob die Zahl gerade oder ungerade ist, ergeben sich eine Reihe von Figuren, die in ihrer Kombination zur Deutung dienen.

Geomantie in der zweiten Bedeutung ist eine relativ junge Variante westlicher Esoterik. Bei ihrer Entwicklung spielte sicherlich der Blick auf die chinesische Kunst des Feng Shui eine Rolle. In den 1920er Jahren war es der englische Amateurarchäologe Alfred Watkins, der die Existenz sogenannter ley-Linien behauptete. Ausgangspunkt seiner Theorie war eine praktische Beobachtung. Steinzeitliche Stätten, Hügel, Anhöhen und Kirchtürme bildeten gerade Linien, die über viele Kilometer laufen konnten. Watkins selbst glaubte an steinzeitliche Handelswege. Okkulte Kräfte konnte er nicht am Werk sehen.

Der Engländer John Mitchell nahm 1969 in seinem Werk ´The new View over Atlantis` die Theorie der ley-Linien auf, bezeichnete sie aber als primär magisch genutzte Energielinien. Die alten Druiden, so Mitchell, hätten die Wirkung dieser unsichtbaren Kraftströme erkannt. Ihre Weisheit hätte dazu gedient, diese Energie für den Menschen nutzbar zu machen. Andererseits wäre es von Bedeutung gewesen, jede Störung des Energieflusses zu vermeiden und zu beseitigen. Auf der Suche nach einem Verständnis dieser Energie stieß Mitchell auf den Österreicher Wilhelm Reich.

Reich, der vor den Nationalsozialisten in die USA fliehen musste, war ein äußerst unorthodoxer Wissenschaftler und Psychoanalytiker. Er entwickelte die Theorie des Orgon. Orgon ist laut Reich eine kosmische Kraft, die in einer Vielzahl von Erscheinungsformen auftritt. Als Psychoanalytiker der alten Schule sah Reich beispielsweise in der Sexualität das Fließen von Orgon durch den menschlichen Körper. Laut Reich war es die Orgon-Energie, die die fliegenden Untertassen antrieb. Mitchell verwies auf alte britische Sagen, in denen immer wieder von druidischen Flugmaschinen die Rede war. Hier, so Mitchell, zeigte sich die Beherrschung der Erdenergie durch die alten keltischen Priester.

Auch die Nationalsozialisten waren stark an geomantischem Wissen interessiert. Die Organisation ´Ahnenerbe`, eine Untergliederung der SS, befasste sich mit der Erforschung alter Mysterien. Eine der dort entwickelten Theorie verwies auf das Böhmen des 10. Jahrhunderts, das gerade unter deutsche Kontrolle gekommen war. Die befestigten Klöster der Benediktiner, so hieß es, seien entlang heiliger Linien gebaut, um von dort die Beherrschung des Landes auf militärischer und spiritueller Ebene zu sichern. Geomantie als Schlüssel zur Herrschaft, das war ganz im Sinne der Nationalsozialisten.